Genetische Besonderheiten und Erbfehler bei Fleisch- und Generhaltungsrassen

Kennzeichnung

2/3-stelliger Erbfehlercode plus 'C' für Träger (carrier), 'F' für frei (free) und 'S' für reinerbiger Träger (sure).
z.B.: ATC = Träger von Ataxie, F5F = frei von FH5, DL3S = reinerbiger Träger von DL3

Genetischer Hintergrund

Nach derzeitigem Wissensstand zeigen alle angeführten genetischen Besonderheiten und Erbfehler (außer Hornlosigkeit) einen monogen homozygot rezessiven Erbgang. Das bedeutet, dass nur ein Genort verantwortlich ist (monogen) und das spezifische Erscheinungsbild nur dann zum Vorschein kommt, wenn das Defektallel an einem Genort reinerbig (homozygot) auftritt. Das ist wiederum nur möglich, wenn das Tier die beiden Defektallele sowohl vom Vater als auch von der Mutter geerbt hat, also beide Eltern Anlageträger sind.

Mischerbige (heterozygote) Tiere zeigen selbst keinerlei Beeinträchtigungen, bei reinerbigen Trägern ist ausdrücklich ‚reinerbig‘ vermerkt!

Häufigkeit des Auftretens

Bei Anpaarung zweier Anlageträger kommt es bei einem Viertel der Kälber zum Auftreten des Erbfehlers, die Hälfte der Kälber ist Anlageträger aber gesund, ein Viertel ist frei vom Defektallel. Bei der Anpaarung eines Anlageträgers an eine Kuh, deren Vater ebenfalls Anlageträger ist, ist bei jedem 8. Kalb mit der Ausprägung des Erbfehlers zu rechnen.

In der Tabelle ist ein Überblick über das erwartete Auftreten des Erbfehlers bei reiner Zufallspaarung bzw. bei Anpaarung mit einem bekannten Träger für unterschiedliche Genfrequenzen in der Population dargestellt. Bei einem Erbfehler mit einer Genfrequenz von z.B. 3% ist bei 9 von 10.000 zufälligen Paarungen mit dem Auftreten des Erbfehlers zu rechnen, bei Anpaarung mit einem Anlageträger steigt der Wert aber auf 15 von 1.000.

Auftreten des Erbfehlers bei Zufallspaarung bzw. Anpaarung mit Träger.

GENFREQUENZ (%)

ZUFALLSPAARUNG
(Anzahl pro 10.000 Anpaarungen)

ANPAARUNG mit TRÄGER
(Anzahl pro 1000 Anpaarungen)

1 1 5
2 4 10
3 9 15
4 16 20
5 25 25
10 100 50
.
Arachnomelie - Spinnengliedrigkeit (AR)

Betroffene reinerbige Kälber werden tot geboren oder sterben kurz nach der Geburt. Auffällig sind die dünnen Röhrenknochen, der verkrümmte Rücken und der häufig verkürzte Unterkiefer. Durch die versteiften und brüchigen Gliedmaßen kommt es neben dem Verlust des Kalbes oft auch zu Verletzungen des Geburtswegs.

Ataxie (AT)

Die progressive Ataxie ist eine genetische Erkrankung, die durch eine autosomal rezessive Vererbung gekennzeichnet ist. Durch einen Abbau von Myelin, der „Isolierschicht“ der Nervenfasern kommt es zu Bewegungsstörungen.  Anfangs zeigen die betroffenen Tiere einen unsicheren Gang mit steifen Hintergliedmaßen. Es kommt zu einem seitlichen Wegkippen der Hintergliedmaßen und Schwierigkeiten beim Aufstehen. Die Symptome verschlechtern sich bis zum Festliegen. Dies kann wenige Monate bis zu zwei Jahre nach den ersten Symptomen auftreten. Betroffene Tiere entwickeln diese Symptome typischerweise im Alter von 18 bis 24 Monaten.

Beta-Kasein

Beta-Kasein ist ein Bestandteil des Milcheiweißes, der in unterschiedliche Gruppen eingeteilt werden kann. Die wichtigsten sind A1 und A2, die sich in einer einzigen Aminosäure unterscheiden (A2: Prolin, A1: Histidin). Es gibt Hinweise (aber derzeit keinen wissenschaftlichen Beweis!) für gesundheitliche Vorteile der A2-Variante. Es werden nur die beiden Hauptallele A1 und A2 ausgewiesen, Suballele werden nicht veröffentlicht.

Brown Swiss-Haplotyp 2 BH2 (B2)

Unterdurchschnittliches Geburtsgewicht, höhere Totgeburtenrate und deutlich erhöhter Anteil an Aufzuchtverlusten durch höhere Krankheitsanfälligkeit (z.B. Lungenentzündung), meist Verenden innerhalb der ersten 50. Lebenstage

Doppellender (DL)

Doppellender sind Mutationen am Myostatin-Gen. Dieses Gen ist für die Regulation des Muskelwachstums zuständig. Durch die Mutationen (derzeit sind insgesamt 10 bekannt) kommt es zu verstärktem Muskelwachstum, zarterem Fleisch sowie geringerem Anteil an Auflagefett und intramuskulärem Fett. Der Knochenbau ist feiner. Bei den „disruptiven Varianten“ treten bei reinerbigen Tieren häufiger Schwergeburten auf, auch die Milchleistung ist geringer.  Je nachdem, um welche Variante der Mutation es sich handelt und ob diese reinerbig oder mischerbig vorliegt, sind auch die Auswirkungen unterschiedlich.  Die Vererbung ist grundsätzlich rezessiv, es liegt aber eine „unvollständig penetrante Vererbung“ vor. Das heißt, die mischerbigen Tiere liegen im Aussehen zwischen den reinerbigen und jenen, die das Gen nicht tragen. Die vollen Ausprägungen und Eigenschaften treten aber nur bei reinerbigen Tieren auf.

Doppellender 1 (DL1)

Die Variante nt821 kommt bei mehreren Rinderrassen vor. Es ist eine disruptive Variante, die neben einer verstärkten Muskelfülle bei reinerbigen Tieren auch zu Schwergeburten führen kann. Bei der Rasse Weiß-Blaue Belgier ist sie in der Population fixiert. Auch mischerbige Tiere zeigen eine bessere Bemuskelung. Daher kommen Träger der Mutation in der Gebrauchskreuzung zum Einsatz. Bei extensiven Rinderrassen ist das Vorkommen eher unerwünscht.

Doppellender 2 (DL2)

Diese Variante (Q204X) kommt vorrangig bei Charolais vor, auch bei Limousin kommen selten Träger vor. Es ist eine disruptive Variante. Sie führt zu einer vermehrten Muskelfülle, höherer Ausschlachtung und geringerer Fetteinlagerung. Bei reinerbigen Tieren ist das Risiko von Schwergeburten höher.

Doppellender 3 (DL3)

Die Variante F94L kommt bei mehreren Rassen vor. Limousinrinder sind meist reinerbige Träger. Außerdem kommt die Variante bei Aubrac, Blonde d’Aquitaine und Charolais vor. Es ist eine Missense-Variante. F94L führt zu einer vermehrten Bemuskelung, hat aber keine negativen Auswirkungen auf den Kalbeverlauf oder die Vitalität der Kälber.

Fleckvieh-Haplotyp 5 FH5 (F5)

Kälber verenden innerhalb von Stunden bzw. wenigen Tagen nach der Geburt an Herzschwäche (Herzinsuffizienz) und schweren Leberschäden.

Hornlosigkeit (P)

Erscheinungsbild:
Hörner fehlend bzw. als Wackelhorn ausgeprägt
Hintergrund:
Für die Ausprägung der Hornlosigkeit sind neben dem Horn-Genort H (der bei heimischen Rassen immer reinerbig vorliegt) zwei weitere Genorte verantwortlich:
  - Genort P (P = polled = hornlos): P ist dominant über H, daher keine Ausprägung von normalen Hörnern (aber Wackelhorn möglich)
  - Genort S (S = scurs = Wackelhörner): Tiere mit Wackelhörnern sind immer Pp, PP-Tiere sind hornlos und zeigen keine Wackelhörner.
PP = homozygot (reinerbig) hornlos (bzw. PP* für Gentestergebnis)
Pp = heterozygot (mischerbig) hornlos (bzw. Pp* für Gentestergebnis)
P = phänotypisch hornlos, aber Genotyp noch nicht bekannt
PS = Wackelhorn-Ausprägung
P*S = genetisch heterozygot hornlos (Pp*) mit Wackelhorn-Ausprägung
Bei Anpaarung eines PP-Stieres an eine behornte Kuh (pp) sind alle Nachkommen Pp, also hornlos. Werden zwei Pp-Tiere gepaart, ist ein Viertel PP (hornlos), die Hälfte Pp (hornlos) und ein Viertel pp (behornt) zu erwarten. Wird ein Pp-Stier an eine pp-Kuh angepaart, ist die Hälfte der Nachkommen hornlos (Pp) und die andere Hälfte behornt (pp).
Ein Gentest für den P-Genort ist möglich.

Kappa-Kasein

Kappa-Kasein ist ein Bestandteil des Milcheiweißes, der überwiegend in den Varianten A und B auftritt. Die Kappa-Kasein-Variante B zeigt eine bessere Ausbeute bei der Käsegewinnung.

Renale Dysplasie (RY)

Renale Dysplasie ist eine angeborene Nierenfunktionsstörung, die zu übermäßigem Klauenwuchs mit rauer und ungleichmäßiger Oberfläche, mattem und struppigem Fell sowie Gewichtsverlust führt. Diese Symptome treten typischerweise im ersten Lebensjahr auf. Betroffene Kälber haben Schwierigkeiten beim Harnabsatz, leiden häufig an chronischem Durchfall und bleiben in ihrer Entwicklung zurück. Die Krankheit verläuft oft tödlich, da die Tiere an den Folgen der Nierenschädigung sterben. RY wird vorerst nur bei den Tux-Zillertalern veröffentlicht.

Rotfaktor

Das Melanocortin 1 Rezeptor (MC1R) Gen kontrolliert die Produktion von roten und schwarzen Pigmenten im Haarkleid. Es gibt unterschiedliche Mutationen am MC1R-Gen. Träger vom rezessiven Rot werden als Rotfaktor-Träger bezeichnet.
Veröffentlicht wird der Rotfaktor derzeit bei der Rasse Weiß-Blaue Belgier.

Thrombopathie - Bluterkrankheit (TP)

Reinerbige Tiere zeigen normales Allgemeinbefinden, leiden aber nach Verletzungen, Injektionen oder chirurgischen Eingriffen aufgrund einer massiven Störung der Blutgerinnung an anhaltenden Blutungen der Haut, der Nase und Schleimhäute durch massiv beeinträchtigte Blutgerinnung
Kann bis zum Tod führen